Ich

„Der Sohn des Satans“ raunten die Leute, wenn ich ihnen in der Stadt mit meinen lodernd roten Haaren, röter als des Teufels allerrötestes Fegefeuer, und meinen 477 Sommersprossen über den Weg lief.

Viele Menschen bekreuzigten sich bei meinem Anblick, flüchteten auf die andere Straßenseite oder hasteten aus dem Gottesdienst. In der Schule verwandelte jeder Hauch einer feindseligen Berührung durch Lehrer oder Schüler meine 192-cm-Sanftmut unter Anrufung des Donnergottes Thor in einen jähen himmlischen Zorn aus Blitz, Donner, Feuer und Sturm. Ich flog von einer Schule auf die nächste. Nach dem 7. Rauswurf fasste ich mit vierzehn einen weitgehenden Entschluss.

Ich umarmte meine Boxerhündin Dükka, schaute ihr tief in ihre bernsteinfarbenen, warmen Augen und sagte: „Dükka, wir machen ’ne Mücke, o.k.?“ Dükka hatte die Angewohnheit, mich wie ein Steinbock zu rammen, wenn sie mit mir einverstanden war. So senkte sie jetzt ihren quadratischen Schädel, nahm einen kurzen Anlauf und katapultierte sich in meinen Bauch. Ich mußte dann immer laut lachen, weil es mich glücklich machte, eine so treue Freundin zu haben. Wir türmten nach Le Touquet-Paris-Plage an die französische Nordseeküste zu einem ehemaligen deutsch-französischem Mitschüler und landeten auf einem anderen Stern, liebevolle Neckerei statt täglicher Keilerei. Spitzname: Huckleberry. Eingebettet in eine wohlwollende Neugier und befreit von Elternhaus und Schule, wurden plötzlich Kräfte in mir frei, die ich bis dahin nicht kannte, und die mir ein Leben voller leichtfüßiger Opulenz bescherten.

Ich beschloss, frei zu bleiben und reich zu werden. Frei für die Wucht unerwarteter Wonnen, frei für die weibliche Anmut, frei für die Inspiration und Schönheit des Augenblicks, frei für den Stolz und die Eigenwilligkeit und frei für die Weite der Welt, sie wohlgemut und wehrhaft zu verteidigen gegen solch irdische Fegefeuer wie Ehe, Vorgesetzte, Banken, Mainstream, etcetera.

„Mein Junge, das schaffste nur als Börsianer“, sprach Viktor Vinqvist väterlich zu mir. Viktor Vinqvist war ein rothaariger finnisch-schwedischer Bär von Bankier in Paris und Helsinki, Vater meiner ersten französischen Freundin Akira und mir höchst wohlgesonnen. „Nur als Börsianer schwebst Du frei und souverän über den Niederungen des geschäftlichen Alltages. Nur als Börsianer bist Du ein freier Mann und Weltbürger. Niemandem musst Du etwas verkaufen wollen und niemandem Dich andienen. Meide die räudigen Rudel räuberisch beflissener Berater. Nur als Privatier küßt Dich die Weite der Welt, die Vielfalt ihrer Chancen und die Leichtfüßigkeit des Lebens. Nur in der Freiheit entfalten sich alle Fähigkeiten Deines Geistes.“ Er nahm mich, als Sohnes statt unter seine Börsenfittiche und zehn Jahre später, mit 26, da strahlte mir von meinem Kontoauszug die erste Million unter seiner Obhut entgegen.

Da küsste ich Viktor Vinqvist und seine Tochter Akira und den Bankauszug und meine Hündin Dükka und schwor beim rothaarigen Donnergott Thor und Audrey Hepburn und Faye Dunneway, daß ich eines Tages die größte Rothaarigen-Party der Welt, ein Fest, ein Feuerwerk, veranstalten und dort 1 Million Dollar aus einem Freiluftballon auf die Gäste hinabschneien lassen würde -eine Hommage an die schönste Haarfarbe der Welt.

Viktor Vinqvist begrüßte mich immer mit den Worten: „Na, Du Feuerkopf“, und griff mir dabei mit fester Tatze in meinen Feuerschopf. Er war der einzige Mann der Welt, der eine angezündete Zigarre so ausspucken konnte, daß sie in weitem Bogen wie ein Bumerang zu ihm zurückkam und mit dem richtigen Ende wieder in seinem Bärengebiss landete. Dann lachte er so herzhaft, donnernd und dröhnend wie eine ganze Braunbärenjahreshauptversammlungskonferenz.

Es folgte eine internationale Huckleberryade von zwanzigtausend bunten Lebenstagen, Jahrzehnten voller finanzieller Akrobatik, hingebungsvoller Verstrickungen, törichter und schlauer Einfälle, gelungener Manöver und schallender Ohrfeigen. Ich investierte mal da, mal dort; mal küsste mich das Glück zärtlich und anschmiegsam wie eine verträumte, begehrende und großzügige Geliebte; mal zischte es mir seine schwefelgiftige gespaltene Königskobra-Zunge drohend entgegen.

Flanierend und kampfbereit focht ich mich durchs Leben, kontemplativ und durchsetzungsfähig gleichermaßen und wehrhaft gegen jede Art familiärer Gefangenschaft. Familiäre Geborgenheit empfand ich nicht in der Enge und Gründung einer neuer Blutsverwandtschaft mit einem Menschen, den man vorher nicht kannte und dessen man im laufe der Zeit überdrüssig wird und gedemütigt zu einem lebenslang versklavten Lieferanten mehrköpfiger Ansprüche….

……sondern in der Vielfalt und Vielzahl mir freundlich gesonnener Mitglieder meiner Großfamilie in der Weite der Welt und der Dörflichkeit der Nachbarschaft -mit gelegentlicher Zweisamkeit.  

Die Welt war mir wohlgesonnen, und ich umarmte das Leben in seiner berauschenden und närrischen Vielfalt….

……bis zum Tabubruch und Sündenfall:

Auf einer sommerlichen Geburtstagsfeier begegnete ich einer Studentin, die voller Freude und Hoffnung der Geburt ihrer Zwillinge mit dem Kommentar entgegenstrahlte: „Aber teuer wird‘s. Unsere Einzimmerstudentenbude und vieles andere tut‘s da nicht mehr“. Das löste in mir eine Lawine aus, nämlich der Gründung von „Sir Huckleberry Insurance Company“, der verrücktesten und einzig liebenswerten Versicherungsgesellschaft der Welt, einer heiteren Persiflage auf das graue Versicherungswesen. Kult (siehe „Presse“, Google: Knut Eicke Hucklebrry, und Ähnliches). 
 
Da angesichts des grollenden Vorzeichens einer Finanzkrise die EU ankündigte, die Anforderungen für Banken und Versicherungsgesellschaften in finanzieller und administrativer Hinsicht in einem Maße zu erhöhen, denen ich als Privatmann nicht mehr gewachsen war, betraute ich eine Kanzlei mit der Einfädelung eines Börsenganges.  

Und dann kam alles aufeinmal und alles ganz schnell: die Anforderungen waren ganz plötzlich da und und ganz plötzlich ging die Kanzlei, die ich mit der Einfädelung meines Börsenganges zur Finanzierung der neuen Auflagen betraute hatte, ging ganz plötzlich unter spektakulären Umständen bankrott.  

Beides zusammen war nicht mehr aufzufangen, ich mußte Sir Huckleberry aufgeben, futsch waren die € 12 Millionen an Investitionen, angefangen mit den jahrelangen Testläufen in drei der kleinsten Länder der Welt bis zum triumphalen Erhalt der EU Lizenz in den Niederlanden.  

 Blick in den Abgrund...

... und hektische Suche nach Fortsetzung des Lebens.   

Entdeckte eine verlockende Lücke auf dem Kunstmarkt, Abteilung Fälschungen. Erwäge Einstieg. Testlauf gelingt, erzürnt jedoch die Omerta, die mir das Besteck ihrer Macht und Spielregeln aufzeigt und mich nicht nur stopt, sondern hinrichtet. Criminal genial.
 
Den Vorgang der Hinrichtung beschreibe ich minutiös in meinem  Brief an Jonny (siehe J‘accuse)

Verzeih, Viktor Vinqvist, väterlicher, weiser Freund, der Du mich eindringlich warntest vor dem Gemetzel des Geschäftslebens. Ich vermisse Dich großen Bärenfreund. Ich recke meinen Kopf in den Wind in der Hoffnung, daß er mir Deinen lachenden, augenzwinkernden, schelmischen, handfestklugen Rat zuträgt und mir kräftig meinen inzwischen weißen Schopf zerzaust. Denn wer keinen allerallerbesten Lausebubenlümmelfreund hat, der ist ein armes Schwein im Leben.